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Die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung zwischen Gesellschaften bei einer Fusion und Übernahme wird durch ein neues Urteil des Kassationsgerichtshofs gestärkt

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Erscheinungsdatum: 06/06/2024 - Lesedauer: ca. 7 Minuten 

Cour de Cassation - Strafkammer - Rechtsmittel Nr. 18-86.955 - 25. November 2020
Cour de Cassation - Strafkammer - Rechtsmittel Nr. 23-83.180 - 22. Mai 2024 

 
Seit dem Grundsatzurteil des Kassationsgerichts vom 25. November 2020 kann eine übernehmende Gesellschaft unter bestimmten Bedingungen strafrechtlich für Handlungen verurteilt werden, die von der übernommenen Gesellschaft vor der Durchführung der Verschmelzung durch Übernahme begangen wurden, und in jedem Fall, wenn die Transaktion einen Betrug am Gesetz darstellt.  

Dieser Grundsatz wurde nun durch ein Urteil des Kassationsgerichts vom 22. Mai 2024 bekräftigt und erweitert. 


Eine Kehrtwende in der Linie der EU-Rechtsprechung 

Artikel 121-1 des Strafgesetzbuchs legt den Grundsatz der persönlichen Bestrafung mit folgenden Worten fest: "Niemand ist strafrechtlich verantwortlich, außer für seine eigene Tat". 

In Bezug auf Fusionen und Übernahmen vertrat die Strafkammer des Kassationsgerichtshofs bis zu ihrem Urteil vom 25. November 2020 die Auffassung, dass eine Fusion dazu führt, dass die übernommene Gesellschaft ihre Rechtspersönlichkeit verliert, und dass die übernehmende Gesellschaft aufgrund ihrer separaten Rechtspersönlichkeit folglich nicht für Handlungen verfolgt werden kann, die von der übernommenen Gesellschaft begangen wurden. Die Analyse der Strafkammer beruhte auf einem Konzept, das die Auflösung einer juristischen Person mit dem Tod einer natürlichen Person gleichsetzte. Dies führte dazu, dass es nicht möglich war, die übernehmende Gesellschaft für Handlungen strafrechtlich zu verfolgen, die von der übernommenen Gesellschaft vor der Durchführung der Verschmelzung durch Übernahme begangen wurden. 

Diese Anwendung des Grundsatzes der Persönlichkeit der Strafe, der nach ständiger Rechtsprechung gilt, stand im Widerspruch zu der Analyse, die der Gerichtshof der Europäischen Union seit seinem Urteil vom 5. März 2015 (Rs. 343/12) von den Bestimmungen des Artikels 19 Absatz 1 der Richtlinie Nr. 78/855/EG vom 9. Oktober 1978 (der "Fusionsrichtlinie"), die anschließend in Artikel 105 Absatz 1 der Richtlinie 2017/1132 vom 14. Juni 2017 kodifiziert wurde, vorgenommen hat. Diese sehen unter anderem vor, dass die Verschmelzung ipso jure zur universellen Übertragung des gesamten Aktiv- und Passivvermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft sowohl zwischen der übertragenden und der übernehmenden Gesellschaft als auch gegenüber Dritten sowie zum Untergang der übertragenden Gesellschaft führt. Folglich hatte der Gerichtshof der Europäischen Union den Übergang der strafrechtlichen Verantwortung und "die Verpflichtung [der übernehmenden Gesellschaft] zur Zahlung der nach der Verschmelzung rechtskräftig verhängten Geldbuße für Verstöße gegen das Arbeitsrecht, die von der übernommenen Gesellschaft vor der besagten Verschmelzung begangen wurden", anerkannt. 

In demselben Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass die fehlende Übertragung der Verantwortlichkeit im Widerspruch zu der in der Fusionsrichtlinie vorgesehenen Definition der Verschmelzung stünde und für eine Gesellschaft ein Mittel darstellen könnte, sich den Folgen ihrer Verstöße zu entziehen, was dem in derselben Richtlinie festgelegten Ziel des Schutzes Dritter zuwiderliefe. 

Trotz dieses Urteils aus dem Jahr 2015 hatte der Kassationshof seine Rechtsprechung des konstanten Rechts beibehalten, indem er jegliche Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung von der übernommenen Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft im Falle einer Verschmelzung durch Aufnahme ablehnte. 

 Die Kehrtwende vom 25. November 2020 erfolgte nach einer aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. Oktober 2019, in der die Position des oben genannten Gerichtshofs der Europäischen Union festgeschrieben wurde (Carrefour France gegen Frankreich - EGMR 24.10.2019 Beschw. Nr. 37858/14). In dieser letzten Entscheidung stützte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auf die wirtschaftliche Kontinuität zwischen der übernommenen und der übernehmenden Gesellschaft, um die Abschirmung der Rechtspersönlichkeit im besonderen Kontext der Verschmelzung durch Übernahme in Frage zu stellen und somit zu entscheiden, dass die übernehmende Gesellschaft zur Zahlung der (in diesem Fall) zivilrechtlichen Geldstrafe für wettbewerbsbeschränkende Handlungen verpflichtet werden kann, die vor der Verschmelzung von der übernommenen Gesellschaft begangen wurden. 

Auf der Grundlage dieser beiden Entscheidungen der europäischen Gerichte gibt die Strafkammer des Kassationsgerichtshofs in ihrem Urteil vom 25. November 2020 ihren anthropomorphen Ansatz zur Strafpersönlichkeit auf, um die wirtschaftliche Realität und die Besonderheiten juristischer Personen in den Vordergrund zu stellen. Denn der Zweck der Verschmelzung und Übernahme besteht in erster Linie darin, eine Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit über die universelle Übertragung des Vermögens zwischen der übernommenen und der übernehmenden Gesellschaft zu bewirken. Daher ist die strafrechtliche Verurteilung der übernehmenden Gesellschaft zu einer Geldstrafe oder Einziehung für Handlungen, die eine von der übernommenen Gesellschaft vor der Transaktion begangene Straftat darstellen, nur die logische Konsequenz dieser wirtschaftlichen Realität und steht im Einklang mit der erwähnten Rechtsprechung. 


Die Bedingungen für die Übertragung 


In seinem Urteil vom 25. November 2020 hatte das Kassationsgericht vier Bedingungen für den Übergang der strafrechtlichen Verantwortung im Rahmen von Fusionen und Übernahmen aufgestellt. Eine dieser Bedingungen wurde durch das Urteil vom 22. Mai 2024 gelockert.  

Erstens stellte das Urteil von 2020 den Grundsatz auf, dass die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung nur im Rahmen einer Verschmelzung durch Übernahme erfolgen kann, die in den Anwendungsbereich der Fusionsrichtlinie fällt, d. h. an der eine Aktiengesellschaft oder eine vereinfachte Aktiengesellschaft beteiligt ist. 

In seinem Urteil vom 22. Mai 2024, das sich auf GmbHs bezieht, streicht der Kassationshof den Verweis auf die Fusionsrichtlinie als Bedingung für die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung auf die übernehmende Gesellschaft. Um eine solche Übertragung zu beschließen, reicht es aus, dass die Gesellschaften eine Verschmelzung vornehmen, die zur Auflösung der beschuldigten Gesellschaft führt, und dass der Sachverhalt, der Gegenstand der Strafverfolgung ist, charakterisiert ist. 

Das Gericht scheint also den Grundsatz der Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung im Falle einer Fusion auf andere Gesellschaften als Aktiengesellschaften auszuweiten, zumindest auf GmbHs. Der Gerichtshof begründet seine Entscheidung mit der Vorhersehbarkeit seiner Doktrin im Hinblick auf seine Entscheidung vom November 2020. Diese Begründung mag überraschen, da sich der Kassationshof bislang bei der Begründung seiner Entscheidungen durchgehend auf die Fusionsrichtlinie (die sich also nur auf AGs und SAS bezieht) gestützt hatte. 

Hingegen hat der Kassationshof in seinen aufeinanderfolgenden Urteilen nicht auf die mögliche Ausweitung dieser Lösung auf andere Transaktionen hingewiesen, die eine ähnliche universelle Übertragung des Vermögens nach sich ziehen, wie z. B. in Anwendung von Artikel 1844-5 Abs. 3 des Zivilgesetzbuches, und bei denen sich die Praxis und die Rechtsprechung auf das System der Absorptionsfusion stützen. Aus diesem Grund erscheint es uns unlogisch, dass die gleiche Lösung von den Gerichten der ersten Instanz in Zukunft nicht auch auf TUPs angewandt wird. Eine andere Entscheidung würde zwei unterschiedliche Systeme schaffen und letztlich die TUP begünstigen, um die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung zu verhindern, was der Begründung des Kassationsgerichts in diesem Fall zuwiderlaufen würde. 

Zweitens kann die übernehmende Gesellschaft nur für Geldstrafen und Einziehung verurteilt werden, da nur diese als Passivposten in das Vermögen der übernommenen Gesellschaft übergegangen angesehen werden können. 

Drittens erinnert das Gericht daran, dass alle Verteidigungsmittel, die der übernommenen Gesellschaft gehören, auch auf die übernehmende Gesellschaft übergehen, die sich also darauf berufen kann, auch wenn nur die übernommene Gesellschaft ein Interesse an der Klage gehabt hätte. 

Schließlich soll der Grundsatz der Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung nur für Vorgänge nach dem 25. November 2020 gelten, um den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zu beeinträchtigen. Dieser Grundsatz wird in dem Urteil vom 22. Mai 2024 erneut bekräftigt. 

Es ist jedoch zu beachten, dass mehrere der oben genannten Bedingungen im Falle eines Gesetzesbetrugs nicht gelten. 

Die Einrede der Gesetzesbetrugs ? 

Der Kassationshof hat entschieden, dass die strafrechtliche Verantwortung der übernehmenden Gesellschaft in jedem Fall entstehen kann, wenn der Zweck des Vorgangs der Verschmelzung und Übernahme darin bestand, die übernommene Gesellschaft ihrer strafrechtlichen Verantwortung zu entziehen.  

 Im Falle eines Betrugs gilt also die Übertragung der strafrechtlichen Verantwortung : 

  • bei jeder Art von Verschmelzung, unabhängig von der Form der beteiligten Gesellschaften, und  

  • ​​unabhängig vom Zeitpunkt des Vollzugs der Verschmelzung.  

Darüber hinaus kann jede angedrohte Strafe gegen die übernehmende Gesellschaft verhängt werden. 


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